14.02.2022

Neubauquartiere in Zeiten von knappem Bauland

Während ländliche Regionen in den vergangenen Jahrzehnten vielerorts an Bevölkerung verloren, konnten insbesondere die Metropolen nicht über mangelndes Interesse klagen. Das resultierte in explodierenden Preisen für Wohnraum und einem verstärkten Trend, Städte zu verdichten.

Der Architekt Franz Stadler erklärt in diesem Interview, wie sich angesichts dessen nicht nur profitable, sondern auch lebenswerte Quartiere entwickeln lassen. 

Wo liegen die Probleme bei der Baulandbeschaffung?

Franz Stadler: Das für die Quartiersentwicklung notwendige Bauland ist mittlerweile rar und wird immer mehr zu einer exklusiven Ware. Planer und Entwickler sind gehalten, mit diesem Gut verantwortungsvoll umzugehen. Die hohe Nachfrage treibt die Grundstückspreise mitunter immer weiter nach oben. 

Welche Möglichkeiten gibt es, dennoch lebenswerte Quartiere zu bauen?

Franz Stadler: Die bauliche Dichte ist ein Schlüsselkonzept der Stadtplanung und damit ein wesentlicher Faktor im Rahmen der Quartiersentwicklung. In der vielschichtigen Vergangenheit des Städtebaus galt es mit den Instrumenten des Planungsrechts stadthygienische Missstände, wie wir diese aus der industriellen Phase des 19. Jahrhunderts kennen, zu vermeiden. Getreu dem Grundsatz „je größer die bauliche Dichte, desto größer das soziale Elend“, war der Begriff der Dichte immer mit etwas Negativem verbunden, das es vehement zu vermeiden gilt. Mit der Dichtebegrenzung und der Trennung von Nutzungen entspricht daher unsere Baugesetzgebung noch heute in weiten Teilen der Charta von Athen und folgt damit dem Leitbild einer „aufgelockerten und gegliederten Stadt“ und der damit verbundenen räumlichen Trennung von Wohnen, Arbeiten, Verkehr und den Erholungsgebieten. Dieses gilt es auf den Prüfstand zu stellen.

Wie müsste Ihrer Meinung nach das Leitbild des Städtebaus auf die heutige Situation angepasst werden?

Franz Stadler: Im Sinne einer nachhaltigen Quartiersentwicklung muss dieses Leitbild hinsichtlich Ökonomie, Ökologie und sozialer Verantwortung hinterfragt werden. Vor allem, wenn man sich den Flächenverbrauch für Gebäude, Infrastruktur und Verkehr in der Bundesrepublik einmal vor Augen hält: täglich werden ca. 56 Hektar Landschaft für Gewerbe, Wohnungsbau, Verkehr und Erholungsflächen verbraucht. Abgesehen davon, dass Fläche eine endliche Ressource ist, werden vielfach wertvolle Böden vernichtet und damit deren für die Umwelt wichtige Funktionen beeinträchtigt. Kurz gesagt, die Stadt braucht Dichte, und zwar in einer stadträumlichen Verträglichkeit und Qualität, wie wir diese in vielen Bereichen bereits kennen. Meist sind es die Gründerzeitviertel, die zwar nicht in das Raster unseres Planungsrechts passen, die aber in der Bevölkerung überaus beliebt sind, was sich unter anderem an den zum Teil exorbitant hohen Mieten und Verkaufspreisen zeigt.

Welche Vorteile bietet eine höhere Dichte?

Franz Stadler: Die Konzentration von Baumasse im städtebaulichen Kontext bietet neben den ökonomischen, ökologischen und sozialen Vorteilen die Möglichkeit, Stadträume und -plätze klarer zu definieren, was bei einer aufgelockerten Bauweise mit Zeilen- und Einzelhäusern sehr viel schwieriger ist. Gerade in Zeiten der Pandemie haben wir insbesondere in den Quartieren gesehen, wie wichtig für jeden der soziale Zusammenhalt innerhalb der Wohngemeinschaft ist, für den der Städtebau den Rahmen schaffen muss. Nicht mehr Abstand um jeden Preis. Nähe, Nachbarschaft und soziale Kontakte haben mittlerweile deutlich an Wert gewonnen. Das Quartier und die eigenen vier Wände sind mehr denn je zum Lebensmittelpunkt geworden. 

Welche Veränderungen wird es durch die Pandemie innerhalb der Stadtquartiere geben?

Franz Stadler: Die Akzeptanz, Grenzen zwischen privaten, halböffentlichen und öffentlichen Bereichen aufzuweichen, ist enorm gestiegen. Hierzu gehört insbesondere die Auflösung der räumlichen Trennung von Wohnen und Arbeiten. Die Etablierung des Homeoffices in der Arbeitswelt wird den Bedarf an Büroflächen in den Städten spürbar reduzieren. In dem Maße, wie der Flächenbedarf an Bürobauten sinken wird, wird der Anspruch an den Arbeitsplatz in den eigenen vier Wänden deutlich steigen. Unsere Quartiere werden zukünftig hinsichtlich ihrer Nutzungsverteilung wesentlich durchmischter und können dementsprechend auch eine höhere Dichte vertragen. Mittlerweile gibt es auch einige Instrumente im Bundes- und Landesbaurecht, die eine größere Durchmischung ermöglichen. 

Welche flächenschonenden Potenziale bietet die Stadt?

Franz Stadler: Ein nicht zu uterschätzendes Potenzial für eine nachhaltige Quartiersentwicklung stellen die bereits versiegelten Flächen in den Ballungsräumen dar. Insbesondere große Flächen für PKW-Stellplätze, meist vor eingeschossigen Discountern und nicht selten in guten innerstädtischen Lagen, stellen ungenutzte Ressourcen in Sachen Flächenverbrauch dar. Aldi und Lidl haben dies bereits für sich erkannt und arbeiten derzeit an einem neuen, für diese Unternehmen ungewöhnlichen Geschäftsfeld, der Projektentwicklung von Quartieren. Erste Beispiele lassen sich in Berlin, Frankfurt, Stuttgart und München beobachten.